Manfred Casper

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Wozu noch einen
“Tag der Deutschen Einheit”?

Schwindet die deutsche Teilung aus dem kollektiven Gedächtnis?

Braunschweiger Zeitung, 4.Oktober.2022

Am 17. Juni 1953 kam es in der DDR, diesem so anderen und den Westdeutschen über die Jahrzehnte immer fremder gewordenen deutschen Staat im Osten zu einem Volksaufstand. Die DDR-Bürger waren der hohen Normen in der Wirtschaft, der kommunistischen Gängelung und Bevormundung sowie der Gleichschaltung aller Medien überdrüssig und sie erkannten, daß die begonnene Verstaatlichung allen Privateigentums wirtschaftlich in die falsche Richtung führte. Mit Panzern kam der „große Bruder“ Sowjetunion und schlug den Aufstand nieder, wie er auch 1956 in Ungarn einen ähnlichen Aufstand und 1968 in der CSSR den „Prager Frühling“ mit Panzern niederwalzte. Im Sinne damaliger Erinnerungskultur wurde im August 1953 dieses Datum, der 17. Juni zum gesetzlichen Feiertag erklärt, bestärkt durch die nachwirkende Betroffenheit infolge der Brutalität und Rücksichtslosigkeit der Sowjets.

Über die Jahre verblaßte dieses Datum und nur noch ältere Zeitzeugen konnten mit dem Feiertag etwas anfangen, jüngere hatten den Bezug verloren. Als dann 1989 diese so völlig andere DDR durch den unermesslichen Mut ihrer Bürger und durch die friedliche Revolution zerfiel, wollten viele sofort reflexhaft die über 40 Jahre getrennten deutschen Staaten wiedervereinigt sehen. Nur wenige Monate und die Entscheidung mit mehr oder weniger wohlwollender Billigung der alliierten Siegermächte war gefallen, Deutschland war wieder ein einheitlicher Staat! Sicher, einige DDRBürger hätten sich eine andere Entwicklung gewünscht und lieber das Ziel eines „wahrhaft demokratischen Sozialismus“ verfolgt. Auch gibt es bis heut viele, die nostalgisch betonen: „War doch nicht alles schlecht in der DDR“. Ob aus Opportunismus, verklärter Erinnerung oder sozialistischer Überzeugung sei dahingestellt. Deren Sicht und Meinung gilt es im Spektrum demokratischer Toleranz zu akzeptieren, auch wenn am Ende die Mächtigen wie Kanzler Kohl, Michael Gorbatschow oder Georg Bush bereits die Weichen in Richtung Wiedervereinigung gestellt hatten.

Was hatte es andererseits nicht für Verwerfungen, Spannungen und Konfrontationen in diesen 40 Jahren der Teilung gegeben, als Zeitraum dreieinhalb Mal so lang wie die furchtbare Nazi-Diktatur! Deutschland hatte sich zum Pulverfaß inmitten der bipolaren Welt des „Kalten Krieges“ entwickelt, mit unzähligen Atomsprengköpfen in den Bunkern der Bundesrepublik und der DDR. Der Mauerbau 1961, die Konfrontation der Amerikaner mit den Sowjets in Berlin Oktober 1961 wegen der Behinderung amerikanischer Patrouillen nach Ost-Berlin durch die Sowjets, die Cuba-Krise, die Zerschlagung des „Prager Frühlings“ … Nicht wenige Ereignisse, die uns damals mit der ernsten Frage nach einem Dritten Weltkrieg konfrontierten. Er wäre wohl ein Atomkrieg geworden! Und dann die zahlreichen Opfer an der Mauer und der innerdeutschen Grenze, Menschen, die aus der DDR flüchten und frei sein wollten: Erschossen, von Minen zerrissen oder verstümmelt, in der Elbe oder Ostsee ertrunken oder inhaftiert, wenn sie überlebten. All dies hatte einen Nachhall, als nach den tränenreichen Szenen infolge des Mauerfalls und der Grenzöffnung sich Ost und West im November 1989 in den Armen lagen. Ergebnis dieses Nachhalls war nach der Wiedervereinigung am 3. Oktober 1990 die Abwägung, ob der bis dahin als deutscher Nationalfeiertag gepflegte 17. Juni nun vom Tag Einheit, dem 3. Oktober abgelöst werden sollte.
Auch dies wurde umgesetzt!

Schauen wir nach Frankreich, wird jeder Schüler und jede Schülerin den 14. Juli als Nationalfeiertag im Rahmen der nationalen Erinnerungskultur identifizieren und zuordnen können, ebenso wie in den USA den 4. Juli als Unabhängigkeitstag. Sie spielen im Selbstverständnis der dortigen Bildungssysteme eine bedeutende historische Rolle, sie bieten Identifikation mit der nationalen Geschichte! Und bei uns? Bis zur „Wende“ war in der 11. Klasse der Gymnasien ein Systemvergleich Bundesrepublik – DDR verbindlich. Und heut? Sicher, die deutsche Teilung ist grundsätzlich noch als Lehrinhalt vorgesehen, aber im Kanon der Angebote eher marginalisiert. Stehe ich als Zeitzeuge zur deutsch-deutschen Geschichte vor deutschen Oberstufenklassen, geht kein Finger mehr hoch, wenn ich frage, was am 13. 8.1961 geschah, dem Tag des Mauerbaus. Auch wenn sich historisches Wissen nicht primär an Daten festmachen läßt, so ist aber leider genau so wenig Wissen über strukturelle Zusammenhänge der früheren DDR vorhanden. Was bedeutet es, wenn in einem Wirtschaftsbetrieb nicht das Management den Kurs bestimmt, sondern der Parteisekretär? Was bedeutet es, wenn nach der Lehre des „wissenschaftlichen Sozialismus“ eine moralisierende Diktatur einen neuen sozialistischen Menschen entwickeln soll? Was bedeutet es für eine Gesellschaft, wenn Menschen sich nicht mehr trauen, offen ihre Meinung zu sagen, aus Sorge, sanktioniert zu werden? Immerhin werde ich noch eingeladen zu berichten von meinen Erfahrungen und Erlebnissen in der DDR und wenn man die jungen Menschen vor sich hat, gelingt es auch, sie zu packen und mitzunehmen auf eine Zeitreise in die jüngere deutsche Geschichte. Warum aber wird diese im nationalen Kontext historisch bedeutsame Zeit auch in der öffentlichen Debatte so vernachlässigt? Wie oft höre ich: „Das interessiert doch keinen Menschen mehr!“ Wirklich nicht? Oder ist es unbequem geworden, sich mit historischem Versagen zu befassen? Nach dem gescheiterten grausamen Nationalsozialismus nun auch noch der real existierte Sozialismus? Gewiß wird es 2022 wieder eine zentrale Veranstaltung in Erinnerung an die Wiedervereinigung geben, vielleicht auch wieder ein wenig Pathos als Alibi. Glauben wir aber Henry Kissinger, wenn er in seinem neuesten Buch sagt: „Die Geschichte ist und bleibt eine unerbittliche Lehrmeisterin“, dann verbindet sich damit die Erkenntnis, daß wir nur aus der Geschichte lernen können. Die Zukunft können wir prognostizieren, planen und visionär entwickeln; aber was wirklich kommt, wissen wir nicht. Insofern wären auch die zahlreichen Politikberater und Politiker, die uns die Welt erklären und uns in die Zukunft führen wollen gut beraten, ab und zu in die Geschichte zu blicken, um aus ihr zu lernen. Stattdessen präsentierten sie uns Begriffe wie die „Friedensdividende“ und gaukelten uns eine friedliche Scheinwelt vor. Bis zum 22. Februar 2022 und dem Überfall Rußlands auf die Ukraine! Und auch hier wieder der untaugliche Versuch, den weiteren Verlauf dieses grausamen Kriege „vom Ende her zu denken“, wie kürzlich Herr Kühnert von der SPD im Interview mit Frau Slomka vom „Heute Journal“. Vielleicht lehrte der Blick in die Geschichte mehr Pragmatismus und Zielorientierung für die Zukunft, in einer Zeit, in der wir vor lauter politischer Überraschungen nicht mehr wissen, wie es weitergehen soll. Nicht nur exorbitant steigende Energiepreise und eine drohende wirtschaftliche Rezession können ein Land schädigen – vielleicht auch die abnehmende Identifikation mit seiner eigenen komplexen Geschichte!

Erfahrungen eines DDR-Zeitzeugen

01 September.2023

1. Ausgangssituation

Im Mai 2023 muß es gewesen sein, daß in einer Doku im TV-Programm 3sat in der Sendung „Zeitenwende“ drei akademisch gebildete Gesprächspartner, zwei Frauen und ein Mann mittleren Alters zwischen ca. 30 und 40 Jahren sich des Themas in Dialogform annahmen, dokumentarisch hinterlegt mit Rückblicken auf die Nachkriegszeit bis heut. Hierbei stellten alle drei mit Bedauern fest, daß ihnen selbst einschneidende historische Ereignisse wie der Volksaufstand in der DDR am 17.06.1953, der Mauerbau und damit die hermetische Abriegelung der innerdeutschen Grenze, die Kuba-Krise 1962 mit akuter Gefahr eines 3. Weltkrieges, die KSZE-Verhandlungen oder der NATO-Doppelbeschluß nicht bekannt oder nur rudimentäre Kenntnisse vorhanden sind. Auch Bundespräsident Steinmeier stellte am 17. Juni 2023 anläßlich der Erinnerung an den DDR Volksaufstand kritisch fest, daß hierzu immer weniger Wissen vorhanden sei und die mediale und öffentliche Erinnerungskultur hierzu inzwischen fast völlig fehlt; im Umkehrschluß sei hier wieder mehr Erinnerungsarbeit nötig. Ein drittes Beispiel, was den fast völligen Verlust der Erinnerung an die deutsche Teilung und die Diktatur der DDR, die sich selbst als „Diktatur des Proletariats“ bezeichnete, im öffentlichen Bewußtsein zeigt, belegte heut, am 20.08.2023 eine religiöse Morgensendung im Deutschlandfunk. Ein jüngerer Pastor sinnierte über Freiheit, Demokratie und im Gegensatz hierzu Diktaturerfahrungen in Deutschland. Zu letzterer nahm er konkret ausschließlich Bezug zum Nationalsozialismus, mit dem Hinweis, daß Deutschland hier „… die letzten Diktaturerfahrungen…“ gemacht habe. Welch ein trauriges Selbstverständnis jüngster deutscher Geschichte, auch wenn damit nicht der Nationalsozialismus mit der DDR-Diktatur gleichgesetzt werden soll.

Hieran knüpft mein Engagement als Zeitzeuge zur deutsch-deutschen bzw. DDR-Geschichte an. Als Schüler der Zehnklassigen Allgemeinbildenden Polytechnischen Oberschule sammelte ich in der DDR in den 1950er und 60er Jahren des letzten Jahrhunderts eigene Erfahrungen mit Zeitzeugen, die zu uns in die Schule kamen und ihre teils traumatischen Erlebnisse aus der Nazi-Diktatur schilderten. Es war eine Abwechslung vom Schulalltag, waren sie doch meist interessante Persönlichkeiten, die im Sinne eines Methodenwechsels anstelle der Lehrer – wir hatten weit überwiegend nur männliche Lehrer – für eine oder zwei Schulstunden den Unterricht bereicherten. Oft waren sie Kommunisten und waren von der Gestapo inhaftiert, vernommen und gefoltert worden. Einer von ihnen war unser Hausmeister, Herr Schuster. Gebannt lauschten wir ihren teils spannenden Erlebnissen und Erfahrungen. Es half, unser Bild über diese grausame Diktatur zu entwickeln.

Inzwischen sind kaum noch Zeitzeugen aus der Zeit des Nationalsozialismus am Leben. Einer der letzten namhaften von ihnen in unserer Braunschweiger Region, wo ich seit vielen Jahren lebe, war Sally Perel, der ebenfalls in zahlreichen Schulen bundesweit als Zeitzeuge berichtet hatte. Eine Schule in Braunschweig-Volkmarode wurde nach ihm benannt, da er aus einem Nachbarort Braunschweigs stammte. Er war Anfang 2023 verstorben. Bekannt wurde seine autobiografische Erzählung „Ich war Hitlerjunge Salomon“.

Wenn Zeitzeugen berichten oder Rede und Antwort stehen, sei es zu historischen TVDokumentationen bzw. in anderen Medieninterviews oder in Schulen, dann letztlich, um Authentizität herzustellen, wenngleich subjektiv gefärbt. Ein Zeitzeuge kann mit Erzählungen aus seinem Leben einen lediglich subjektiven Beitrag leisten und ist insofern immer in Ergänzung zu einem weiteren historisch-analytischen Kontext einzuordnen. Die Summe von Zeitzeugen mit unterschiedlichen Erfahrungshorizonten verhilft jedoch, ergänzt um objektive Fakten zu einem einigermaßen objektiven Bild einer Epoche, worüber es in der historischen Forschung jedoch unterschiedliche Sichtweisen und Ansätze gibt.

Geboren in Stollberg/ Erzgebirge, DDR, wuchs ich in behüteten Verhältnissen auf und kann in der Rückschau von einer schönen Kindheit sprechen. Jedoch führten zahlreiche Schlüsselerlebnisse auf der Grundlage meines freigeistigen Wesens, das die Welt immer auch kritisch zu reflektieren versuchte, im Heranwachsen zu einer systemkritischen Haltung gegenüber dem System der DDR und des Sozialismus. Schließlich führte dies 1969 im Alter von 18 Jahren nach Abschluß meiner Realschule und der Ausbildung zum Baumaschinisten zu einem Versuch der Republikflucht in die Bundesrepublik, ich erwog eine Flucht von Bulgarien über Jugoslawien nach Österreich. Der Fluchtversuch scheiterte unter dramatischen Umständen an der bulgarisch-jugoslawischen Grenze! Es folgten Untersuchungshaft bei der bulgarischen Staatssicherheit in Sofia, Untersuchungshaft bei der Staatssicherheit der DDR in Karl-Marx-Stadt und nach einem Gerichtsverfahren, in dem ich des „Verbrechens“ der versuchten Republikflucht nach § 213a StB der DDR bezichtigt worden war, folgte ein Urteil von einem Jahr und fünf Monaten Haft ohne Bewährung. Ich stand ohne Rechtsanwalt vor Gericht! In einer ersten Sprecherlaubnis im Oktober 1969 während der Stasi-Untersuchungshaft noch vor dem Gerichtsprozeß, als mich mein Vater nach der Begrüßung danach fragte, ob er sich um einen Anwalt für mich kümmern sollte, wurde die Sprecherlaubnis nach ca. 3-5 Minuten abgebrochen, da seine Frage gegen die Regeln verstieß; ich hatte damit meinen Vater unter diesen Umständen das letzte Mal in meinem Lebengesehen, da er leider kurz nach Haftende verstarb und wir zwischenzeitlich keine Gelegenheit der Begegnung mehr hatten. Kurz vor Haftende kam ich im Dezember 1970 durch den sogenannten Häftlingsfreikauf in die Bundesrepublik frei. Ich fand in Braunschweig eine neue Heimat, zunächst bei Verwandten, später mit eigener Familie. Eine nur kurz währende und im Versuch steckengebliebene Episode als Fluchthelfer im ersten Jahr meiner Freiheit im Westen war der Stasi bekanntgeworden, weshalb in einer etwa 700seitigen Stasi-Akte der „Operativ-Vorgang Häftling“ angelegt worden war, die Akte war bis 1989 in Bearbeitung. Nach einer Umschulung zum Technischen Zeichner, dem Abitur auf dem Zweiten Bildungsweg und einem Studium der Germanistik, Politikwissenschaft und Philosophie mit beiden Staatsexamen für das gymnasialeLehramt bekam ich Anfang der 1980er Jahre zunächst keine Lehrerstelle. Dank großer beruflicher Flexibilität war ich letztlich nach mehreren Berufsetappen bis zum Ruhestand im Juni 2016 knapp 25 Jahre als Hauptgeschäftsführer eines Arbeitgeberverbandes in Braunschweig tätig, mit zahlreichen Ehrenämtern. Ich wurde in der Region Braunschweig zu einer sogenannten Person des öffentlichen Lebens.

Bereits vor Eintritt in den offiziellen beruflichen Ruhestand 2016 hatte ich in den letzten Berufsjahren begonnen, mich als Zeitzeuge zur deutsch-deutschen Geschichte und zur Entwicklung der DDR anzubieten. Gleichzeitig hatte ich begonnen, ein Manuskript zu entwerfen und meine Erlebnisse, Erfahrungen und meinen Lebensweg aufzuschreiben. Es entstand die autobiografische Erzählung „Vom Wachsen der Flügel“, erschienen im Oktober 2019 beim JHMVerlag Braunschweig, 418 Seiten. Im Prolog des Buches heißt es: „Neben diesem sehr persönlichen Bezug, der mich zum Schreiben meiner Geschichte veranlaßt, war es auch die oft gestellte Frage, welche Erfahrungen, Erlebnisse und Impulse dazu geführt haben, daß ich mich als junger Heranwachsender in Lebensgefahr begab, um die DDR zu verlassen… . Meine Entwicklung vom kindlichen Erfassen der Welt durch zahlreiche Schlüsselerlebnisse über erste Meinungsbilder bis zu einem lebensgefährlichen Fluchtversuch aufzuzeigen, ist Absicht dieses Buches. Auch ein Zeugnis für die erfolgreiche Suche eines jungen Menschen nach Orientierung in der dramatisch spannungsgeladenen Zeit des Kalten Krieges will es sein sowie ein leidenschaftliches Plädoyer für die Freiheit. Damit verbindet sich die Frage, was uns geschichtliche Erkenntnisse und Erfahrungen für die Gestaltung unserer Zukunft lehren; denn letztlich sollte der Blick in die Geschichte nicht allein dem Beklagen vergangener Unbill dienen, vielmehr ganz dem Credo Henry Kissingers folgen, dem früheren US-Sicherheitsberater und späteren US-Außenminister, wenn er sagt: ‚Geschichte ist und bleibt eine unerbittliche Lehrmeisterin!‘“

2. Umsetzung der Zeitzeugenarbeit

2.1. Das Buchprojekt

2017 hatte ich ein erstes Konzeptgespräch zum Buchprojekt mit dem damaligen Chefredakteur der zur Funke-Mediengruppe gehörenden „Braunschweiger Zeitung“ (BZ) , Armin Maus. Wir kannten und schätzten uns aus meiner berufsaktiven Zeit. Die Frage war, ob er mir Unterstützung bei der Suche nach einem Verlag für mein geplantes Buchprojekt bieten könnte. Hier stand nach weiteren Abstimmungen der JHM-Verlag Braunschweig ab 2018 bereit, sicher als Entgegenkommen mir gegenüber aufgrund der langjährigen sehr guten Zusammenarbeit. Einenexternen Verlag zu finden, war mir nicht gelungen. In weiteren Gesprächen war der Chef einer großen regionalen Stiftung mit dem Ziel einer finanziellen Unterstützung eingebunden. Wir alle wollten schließlich gemeinsam eine große Diskussionsveranstaltung zur deutsch-deutschen Geschichte im Oktober/ November 2019 planen, dem Erscheinungsdatum des Buches und dem 30jährigen Jubiläum des Mauerfalls, etwas Ähnliches sollte im Oktober 2020, dem Jahrestag der Wiedervereinigung stattfinden. Gedacht war an die Einbindung renommierter Repräsentanten wie Wolfgang Thierse oder gar Joachim Gauck. Stattfinden sollte sie im großen Saal des Medienhauses. Als es wegen der fortschreitenden Zeit hätte konkreter werden müssen, spürte ich zunehmende Zurückhaltung aller weiteren Akteure. Nicht nur das, ich war zunehmend mit allen operativen Schritten zur Konkretisierung eines solchen Veranstaltungspaketes, z. B. mit Anfragenbei exponierten Persönlichkeiten zur Teilnahme an einer solchen Veranstaltung allein auf weiter Flur, ich erhielt auch nur Absagen. Schließlich mußte auch ich diese Idee schweren Herzens aufgeben. Zu einer größeren Diskussionsveranstaltung kam es nicht.

Die Zusammenarbeit mit dem Verlag begann sich schwierig zu gestalten. Mein Ziel, das Buch zum 30. Jahrestag des Mauerfalls am 09.11.2019 vorliegen zu haben, konnte zwar mit Müh und Not erreicht werden, jedoch nur dadurch, daß ich die letzten Wochen vor Herausgabe über den Sommer 2019 regelmäßig im Verlag mit Fachleuten zusammensaß – gewissermaßen als argwöhnisch beäugter Fremdkörper – und dadurch, daß ich die Entstehung mit Nachdruck forcierte. Für den 09.10.2019 hatte ich mittlerweile – ausschließlich aus Eigeninitiative – eine erste Lesung mit der Buchhandlung „Buch und Kunst“ in Stollberg/ Erzgeb., meiner früheren Heimatgeplant. Immerhin die Mitarbeit im Verlag wurde mir ermöglicht, ein Digitalexperte wurde mir an die Seite gegeben und mein Sohn Enrico gestaltete als Mediendesigner das Layout des Buches. Ein Lektorat wurde mir indes nicht zur Seite gestellt, dies hätte ich mit ca. 5.000,- EUR bis 6.000,- EUR selbst bezahlen müssen, was ich nicht wollte. Dann hätte ich bei einer geplanten 1. Auflage von 2.000 Exemplaren und den damit verbundenen vertraglichen Einnahmen draufzahlen müssen! Zur finanziellen Unterstützung der Buchherstellung, die der Verlag verlangte, nutzte ich meine immer noch bestehenden regionalen Netzwerke und fand nach aufwändigen Recherchen mehrere regionale Stiftungen, ebenso die regionalen Arbeitgeberverbände, zu denen ich immer noch durch meine frühere Position Verbindungen hatte.

Pünktlich am 07.10.2019 lag das Buch zum Glück vor, zwei Tage vor der ersten Lesung in Stollberg/ Erzgebirge. Der Verlag hatte mir ein Rollup mit Werbung für das Buch erstellen lassen, das ich nutzen konnte. Die ebenfalls wie die „Braunschweiger Zeitung“ zur Funke-Mediengruppe gehörende „Freie Presse“ aus Chemnitz hatte eine Journalistin zur Lesung am 09.10.2019 entsandt, auch wurde anderntags darüber berichtet. Die erste Lesung in Braunschweig, wo wir ursprünglich den Aufschlag mit der angedachten Großveranstaltung beginnen wollten, fand allein auf mein Betreiben am 11.11.2019 in der Buchhandlung Graff Braunschweig statt, deren Inhaber ich gut kannte. Immerhin ca. 80 Teilnehmer waren anwesend, wohl auch aufgrund einer Rezension in der „Braunschweiger Zeitung“, die mein Buch trotz aller inhaltlich-sachlichen Kritik mit denen Kempowskis und Solschenizyns gleichsetzte. Die Moderation übernahm der Chefredakteur der „Braunschweiger Zeitung“, Armin Maus. Eine zweite Lesung fand am 21.11.2019 in der Welfenakademie Braunschweig statt, einer dualen Hochschule. Hierzu hatte ich ausschließlich über die regionalen Rotary-Clubs eingeladen, ca. 120 Teilnehmer waren anwesend. Leider hatte sich zwischenzeitlich Armin Maus als Chefredakteur der „Braunschweiger Zeitung“ und relevanter Multiplikator beruflich verändert. Anfang 2020 begann dann die Corona-Pandemie, die alle weiteren Ideen zu Lesungen, Vorträgen usw. zunächst fast zum Erliegen brachte, später konnte ich während der Pandemie stattfindende Lockerungen wieder für Veranstaltungen nutzen.

2.2. Netzwerkarbeit

Parallel zu den beschriebenen Aktivitäten hatte ich 2019 begonnen, mir zu bundesweit operierenden Stiftungen Zugang zu verschaffen, auch hierbei in der Hoffnung auf finanzielle Unterstützung. Hieraus erwuchs eine sehr fruchtbare und engagierte Unterstützung durch die Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit (FNSt), die auch den oben genannten früheren NSZeitzeugen Sally Perel unterstützt hatte. Einen Zugang zur Konrad-Adenauer-Stiftung oder zur Friedrich-Ebert-Stiftung bekam ich trotz mehrfacher Versuche nicht, es besteht kein Interesse. Eine Anregung aus einem Referententreffen bei der FNSt in der Landesgruppe Niedersachsen/Bremen in Hannover griff ich kurz vor der Corona-Pandemie auf und ließ eine Homepage für mein Buch und mein geplantes Engagement mit Lesungen und Vorträgen bzw. Gesprächsrunden erarbeiten, die einsehbar ist unter www.vomwachsenderfluegel.de. Meine Bitte an den Verlag, mir diese zu finanzieren oder mich finanziell zu unterstützen konnte nicht erfüllt werden, ich finanzierte die ca. 1.700,- EUR allein.

Nach der Rezension in der „Braunschweiger Zeitung“ zum Buch gelang es mir im Dezember 2019 – wieder durch gute Netzwerkkontakte aus meiner früheren Berufstätigkeit – im Studio des NDR in Hannover an einem Donnerstagabend in der Sendereihe „Thema des Tages“ einen Sendeplatz von ca. 50 Minuten zu bekommen, mit einem Live-Interview zu meinem Engagement und zum Buch, gesendet über NDR 1 Radio Niedersachsen und moderiert von der Kulturredakteurin Andrea Schwyzer.

2020 nahm ich Kontakt zum Zeitzeugenarchiv, das der Gedenkstätte in Berlin-Hohenschönhausen angegliedert ist, auf. Dort wurde ich aufgenommen. Nach der formalen Prüfung meiner Integrität durch die damals noch autonom bestehende Bundesbehörde für die Aufarbeitung der Stasi-Unterlagen folgte ein ca. fünfstündiges Einzelinterview vor laufender Kamera. Bisher erhielt ich hierdurch zwei Vermittlungen an Schulen, eine in Aschersleben im März 2021 und eine in Braunschweig im Mai 2023. Gleichzeitig bekam ich durch diesen Kontakt Zugang zu einem von der Charitee durchgeführten Projekt zur Untersuchung von Folgeschäden bei Opfern des SED-Unrechts.

2021 nahm ich Kontakt zur Gedenkstätte des Zuchthauses Cottbus auf, die vom Menschenrechtszentrum Cottbus (MRZ) betrieben wird. In dieser Haftanstalt der DDR war ich von Dezember 1969 bis November 1970 als Häftling untergebracht. Hintergrund der Kontaktaufnahme war nach der Veröffentlichung eines Artikels zu meinem Buch in einem Rotary-Magazin die Bitte des Rotary-Clubs Cottbus, vor diesem eine Lesung abzuhalten. Beim Besuch in der Gedenkstätte, welcher der Vorbereitung meiner dortigen Lesung diente, übergab ich mein Buch, in dem das Zuchthaus im Zustand um 1970 herum authentisch beschrieben ist. Sylvia Wähling war damals Leiterin und gab mir Einblick in die heutigen Strukturen der Gedenkstätte. Mein Buch nahm sie dankend mit der Bemerkung entgegen, sie werde es wohl deshalb nicht lesen können, weil das Gewicht zu schwer sei als Bettlektüre; zugegeben, es ist als gebundene Hardcoverausgabe mit 418 Seiten nicht leicht. Die Führung durch die Gedenkstätte geriet für mich zu einer Zeitreise, wobei einige Elemente nicht authentisch restauriert waren, z. B. die sogenannten „Tigerkäfige“. Sie waren Arrestzellen im Keller, in denen ich als Sanktion für meine Ausreisebemühungen die letzten Tage meiner Haft eingeschlossen war. Völlig schleierhaft ist mir, wie man in eine der heut restaurierten Zellen einen großen, völlig überdimensionierten Kachelofen eingemauert hat, den es so zu meiner Zeit dort nicht gab! Auch kann ich mir für die spätere Zeit bis 1989 nicht vorstellen, daß man neben all den martialischen Absichten, die mit diesen Zellen verbunden waren, einen solchen Komfort eingebaut hatte. Woher diese Idee stammt ist mir schleierhaft. Schließlich fand im Juni 2022 mein Vortrag mit Lesung vor dem Rotary-Club Cottbus im großen Saal der Gedenkstätte statt. Auch wurde ich Mitglied im dortigen Menschenrechtszentrum.

2.3. Veranstaltungen

Neben der weitgehend selbst realisierten Erstellung des Buches, dem parallelen Aufbau von regionalen und überregionalen Netzwerken begann ich, soweit dies Corona in Lockerungsphasen zuließ, weitere Veranstaltungen über die ersten Lesungen und Vorträge hinaus zu planen, weitgehend allein oder durch die FNSt. Im Erzgebirge unterstützte mich mit Hartmut Krause aus Lößnitz ein ehemaliger Lehrer, der durch mein Buch Kontakt mit mir aufgenommen und vier Schulveranstaltungen angebahnt hatte. Die Veranstaltungen waren überwiegend als Vorträge mitanschließender Diskussion gestaltet oder als Lesungen. Auch gab es reine Gesprächsrunden oder Onlineformate während der Corona-Beschränkungen. Im August 2021 hatte ich Gelegenheit, auf Einladung der FNSt Baden-Württemberg vier Film-Preview-Veranstaltungen zum Film „Nahschuß“ als DDR-Zeitzeuge zu eröffnen. Der Film behandelt die Hintergründe, die zur Festnahme, Verurteilung und Hinrichtung des letzten in der DDR zum Tode Verurteilten und Hingerichteten,Werner Teske führten. Bis heut, Mitte August 2023 gelang es, seit der ersten Lesung in Stollberg im Oktober 2019 trotz der Corona-Beschränkungen bundesweit insgesamt 89 Veranstaltungen mit ca. 6.500 Teilnehmern durchzuführen. Hiervon fanden 24 Veranstaltungen statt, die durch die FNSt in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz, Hessen und Niedersachsen organisiert worden waren sowie die vier von Herrn Krause angebahnten. Alle weiteren 61 Veranstaltungen organisierte ich selbst oder sie fanden statt, nachdem mich aufgrund der ersten Erfolge Einzelakteure, meist ehrenamtlich aktive Menschen in verschiedenen Institutionen angesprochen hatten. Die weitaus meisten Veranstaltungen wurden auch durch die FNSt finanziert. So erhielt ich je nach Veranstaltungsformat und Rahmen zwischen 300,- EUR bis 600,- EUR pro Veranstaltung als Honorar plus Reise- und Übernachtungskosten. Viele Veranstaltungen wurden medial begleitet und es gibt zahlreiche Presseberichte.

Die Erfahrungen bei der Akquise waren sehr unterschiedlich. Bei der Akquise in Schulen stelle ich bis heut eine ausgesprochene Zurückhaltung fest. Hier war ich meist dann erfolgreich, wenn wiederum entweder Netzwerkpartner Unterstützung boten oder ich gezielt an Lehrkräfte herantreten konnte, die als Fachlehrer im Einsatz eines Zeitzeugen eine methodische Bereicherung des Unterrichts sahen. Die weitaus meisten Schulen meiner Heimatregion, zumindest soweit ich sie vorwiegend in der Region Braunschweig, Wolfsburg, Wolfenbüttel, Salzgitter und Gifhorn zu gewinnen suchte, zeigten bisher kein Interesse. Auch gab es einige skurrile Ablehnungen. So erhielt ich vom Leiter des Internationalen Gymnasiums Steinmühle in Marburg, wo ich Zugang über den dortigen Rotary-Club gesucht hatte, einen Anruf, in dem er mir den Grund für die Ablehnung offen mitteilte, indem er sinngemäß sagte: „Unser geisteswissenschaftliches Lehrerkollektiv möchte Sie nicht einbinden, da Ihre in der DDR einseitig erworbenen Lebenserfahrungen zu einer einseitigen Beeinflussung der Schüler und Schülerinnen führen könnten…“. Hier wehte mir der Geist politisch-ideologischer Ablehnung ins Gesicht. Der „Marsch durch die Institutionen“ der früheren, sogenannten 68er, politisch ausschließlich im linken Spektrum angesiedelter Aktivisten trug hier besonders anschaulich seine historischen Früchte. Hier lebte die „Frankfurter Schule“ unter intellektueller Führung von Adorno, Horkheimer und Markuse fort, die auch in Marburg ein Standbein hatte. Dennoch war der Direktor dieses Gymnasiums bereit zu einer gemeinsam mit der Friedrich-Naumann-Stiftung und dem Rotary- Club Marburg organisierten Abendveranstaltung, an der auch Schülerinnen und Schüler teilnahmen, womit wir dem „geisteswissenschaftlichen Lehrerkollektiv“ ein Schnippchen geschlagen hatten. Die Teilnehmerzahl war hier aber wegen Corona leider auf 50 begrenzt. Am Wilhelm-Gymnasium Freiburg/ Breisgau hatte ich Zugang durch die FNSt Baden-Württemberg für einen Zeitzeugenvortrag erhalten und war etwas frühzeitig eingetroffen. Im Sekretariat des Direktors, der jedoch selbst nicht über meinen Einsatz informiert worden war, wartete ich auf den Fachlehrer. Als der Direktor unvermittelt aus seinem Büro kurz ins Sekretariat kam, mich dann durchaus freundlich begrüßte und fragte, wer ich sei und ob er mir helfen könne, erwiderte ich,daß ich einen Vortrag als Zeitzeuge zu halten beabsichtige. Irritiert schaute er mich an und meinte: „So alt sind sie doch noch gar nicht?“ Er hatte mich, wie es heut bei Schulen am ehesten noch vermutet wird, als Zeitzeuge zum Nationalsozialismus zugeordnet. Als ich richtigstellte, daß ich über meine Erfahrungen und Erlebnisse aus der DDR referieren werde, sein spontaner Reflex: „Ach du lieber Gott.“ Immerhin fragte er noch, welche Lehrkraft sich um mich kümmert. Die Resonanz der meisten Lehrkräfte jedoch und auch der Schülerinnen und Schüler bei Schulveranstaltungen sowie auch der Teilnehmer anderer Veranstaltungen war weit überwiegend sehr positiv bis überschwänglich. Auch konnte ich bei Veranstaltungen außerhalb von Schulen zahlreiche Bücher meiner autobiografischen Erzählung selbst verkaufen. Viele Teilnehmer sprachen mich nach den Veranstaltungen an. Auch gibt es inzwischen mehrere Schulen, die mich wiederholt regelmäßig einladen, um nachfolgenden Jahrgängen von Schülerinnen und Schülern Gelegenheit zur Beschäftigung mit der DDR zu geben.

3. Fazit

Leider nehme ich wahr, daß die 40jährige deutsch-deutsche Teilung und die Zeit der DDR im öffentlichen Diskurs und in den Medien nur noch rudimentär vorkommen. Meistens wird darüber geklagt, daß Ost und West nach über 30 Jahren der Wiedervereinigung immer noch nicht in allen Lebensbereichen, z. B. in den Rentenhöhen oder Löhnen und Gehältern angeglichen sind. Ganz dem Primat der Wohlstandssicherung entsprechend geht es in erster Linie darum, die diesbezüglichen negativen Folgen, Schwächen, Fehler und Mängel des Wiedervereinigungsprozesses zu beklagen. Selbst der brutale, von Rußland begonnene Angriffskrieg gegen die Ukraine im Februar 2022 vermochte nicht, Fragen nach den historischen Lehren aus der Zeit des Sowjetkommunismus neu zu stellen. Stattdessen wird von einer verlorenen Friedensdividende und davon gesprochen, man müsse nun angesichts des Unbegreiflichen diesen Krieg „vom Ende her denken“! Also von der Zukunft – von der niemand weiß, was sie wirklich bringt. An der Blickrichtung hat sich nichts geändert und die frühere DDR, dieser andere Teil Deutschlands als unterwürfiger Vasall der früheren Sowjetunion, auf die sich heute Putin wieder beruft, spielt nach wie vor keine Rolle! Dabei gäbe es zunehmende Parallelen in unserer gesellschaftlichen Entwicklung zur Entwicklung in der DDR zu identifizieren, die es verdient hätten, in einem gesellschaftlichen Diskurs unter die Lupe genommen zu werden.* Auch die Frage nach dem zwischen Ost und West so sehr unterschiedlichen Wahlverhalten, dem früheren Aufschwung der Linken in Thüringen oder der AfD im heutigen Osten insgesamt wird – zumindest in den öffentlich-rechtlichen Medien – meist aus Westsicht und mit kritischem Blick auf
den Osten behandelt. Anstatt sich der systemischen Unterschiede zwischen der DDR und der früheren Bundesrepublik zuzuwenden, die vieles helfen würden hierzu zu erklären, zeigen westdeutsche Politik- und Sozialwissenschaftler vorwurfsvoll auf den Osten. Die Spaltung nimmt eher zu, anstatt ab.

Während inzwischen das deutsch-deutsche Bewußtsein immer mehr schwindet, überraschten am 17.06.2023 und am Folgetag in allen Nachrichtensendungen der öffentlich-rechtlichen Rundfunk- und TV-Sender gebrachte Kurzdokumentationen und Erinnerungsmeldungen zum Volksaufstand am 17. Juni 1953 in der DDR, mit dem Hinweis, daß die Erinnerung hieran mehr wach gehalten werden müßte. Auch Bundespräsident Steinmeier griff, wie eingangs erwähnt, diesen Appell auf und meinte sinngemäß, vor allem junge Menschen wüßten heut zu wenig oder gar nichts mehr hierüber. Nicht zuletzt diese Sicht auf die Geschichte „… als unerbittliche Lehrmeisterin…“ motiviert mich trotz aller Ignoranz und zunehmender Verdrängung, weiterzumachen. Mir geht es hierbei nicht in erster Linie darum, mein eigenes Schicksal in der DDR, die dort erlittenen existenziellen, teils traumatischen Erlebnisse zu beklagen, sondern mit Blick auf die Gestaltung der Zukunft aufzuklären und die Frage zu stellen, wo es heut Parallelen zur Entwicklung in der DDR gibt.

Nach dem Ende der Corona-Pandemie, nach einem brutalen Hackerangriff auf die digitale Infrastruktur des Verlages und nach weitgehenden Strukturveränderungen im Verlagsumfeld suchte ich mit dem Verlag Ende 2022 das Gespräch über die Zukunft der Zusammenarbeit. Hier fand ich in Herrn Großkopf als neuem Vertriebschef einen Unterstützer. Er bot mir an, gemeinsam die restlichen Bücher so schnell wie möglich zu verkaufen. Hierzu erstellte der Verlag mit mir ein Video, das auf meiner Homepage und an weiteren geeigneten Stellen in den sozialen Medien
Werbung für das Buch machen soll. Sobald die 2.000 Exemplare der ersten Auflage des Buches abverkauft sein werden, wird der Verlag eine überarbeitete Neuauflage in Aussicht stellen, sofern es uns gelingt, wieder finanzielle Unterstützer zu finden. Auch wurde ein 45minütiger Podcast zum Thema „Bedeutung der Freiheit“ im Haus der zur Funkemediengruppe gehörenden „Braunschweiger Zeitung“ mit mir als Interviewpartner erstellt, der ebenfalls bereits auf meiner Homepage platziert wurde. In ihm lege ich auch meine Sicht auf parallele Entwicklungen zwischen
der DDR und der heutigen Bundesrepublik dar. Für die Akquise von Schulen wird derzeit ein Flyer erstellt, der meinen Angebotsschreiben an Schulen für meine Zeitzeugenarbeit beigefügt werden soll. Schließlich kann sich der Verlag auch die Unterstützung eines Projektes zur Erstellung von schulischen Handreichungen vorstellen. Dabei soll es sich um schulergänzendes Infomaterial zur deutsch-deutschen bzw. DDR-Geschichte handeln, da es nach Auskunft mehrerer Lehrkräfte zu wenig davon gäbe.

Dieses Angebot des Verlages läßt mich trotz allem Rückgang des öffentlichen und schulischen Interesses an der deutsch-deutschen bzw. DDR-Geschichte doch optimistisch in die Zukunft schauen und ich biete mich allen weiteren Interessenten jederzeit gern weiterhin als Gesprächspartner, Referent oder Moderator zu diesem für uns alle so wichtigen historischen Abschnitt deutscher Geschichte an.
Manfred Casper, August 2023

* Siehe Kolumne von mir „Wozu noch einen Tag der Deutschen Einheit?“, die als Gastkommentar unter der Überschrift „… interessiert niemanden mehr – wirklich nicht?“ am 04.10.2022 ungekürzt in der „Braunschweiger Zeitung“ erschien (S. 4); nachzulesen auch auf meiner Homepage;

MANFRED CASPER SPRICHT ÜBER SEINE FLUCHT UND INHAFTIERUNG IN DER DDR

Interview

Ems-Vechte-Welle, 23. April 2023

Wer 1989 geboren ist, wird in diesem Jahr 34 Jahre alt. Wer 34 oder jünger ist, hat die Deutsche Demokratische Republik nicht mehr bewusst erlebt. Das heißt, dass die Zahl der Zeitzeugen in den nächsten Jahrzehnten immer kleiner wird. Warum ist es wichtig, dass es diese Zeitzeugen gibt? Weil die DDR ein politisches System ohne Gewaltenteilung war – mit anderen Worten – eine Diktatur, mit einem Überwachungsapparat, geprägt von Mangel, Unfreiheit und Unrecht. Die Friedrich-Naumann-Stiftung hat einen DDR-Zeitzeugen nach Langen und nach Haselünne eingeladen, der über eine bewegte Vergangenheit in der DDR berichten kann. Sein Name ist Manfred Casper. Heiko Alfers hat mit ihm gesprochen.

https://www.emsvechtewelle.de/manfred-casper-spricht-ueber-seine-flucht-und-inhaftierung-in-der-ddr/

Freiheit und Verantwortung – Grundwerte in Wirtschaft und Gesellschaft

Festschrift für Manfred Casper – Hauptgeschäftsführer des Arbeitgeberverbandes Region Braunschweig (AGV)

Erschienen 2016, WelfenAkademie Verlag Braunschweig, 306 Seiten.
ISBN: 978-3-939301-03-5